Warum der Frauentag auch Männersache ist

Die Hälfte der Flüchtlinge weltweit sind Frauen und Mädchen. Sie fliehen aus denselben Gründen wie Männer, sind aber oft mit zusätzlichen Risiken konfrontiert – sowohl vor, während und nach der Flucht. Das gilt auch für unsere Klientinnen. Wie können wir in der BBU Mädchen und Frauen unterstützen und stärken? Kolleginnen aus unseren drei Geschäftsbereichen geben Auskunft. Und wir erklären, warum Frauen keine Opfer sind und es starke Männer braucht.

Einzelgespräche
Zu Beginn erklärt die Rechtsberaterin Julia S. den Ablauf. Sie weist das Paar, das bei ihr ist, darauf hin, dass sie am Ende sowohl mit dem Mann als auch mit der Frau einzeln sprechen wird. Der Mann ist zwar kurz irritiert, schließlich spricht er sonst für beide, aber er ist einverstanden.

Ein erster Schritt
Die Frau spricht stockend, leise und zurückhaltend, aber sie sagt etwas. Es ist ein kleiner, aber ein erster Schritt. Die Frau redet, ihr wird zugehört, sie wird ernst genommen. “Die Frau hat die Möglichkeit, uns ihre eigenen Asylgründe zu schildern oder direkt etwas anzusprechen, was sie nicht vor ihrem Mann sagen will“, erklärt Julia.

Wissen hilft
Die Rechtsberaterin fragt nach. Wie die Ehe zustande kam, ob die Frau ihren Partner gekannt hat, wie sich das Familienleben gestaltet, ob sie Kontakt zu anderen Menschen hat. Daraus lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, in welcher Art von Beziehung sie sich befindet, ob eine Zwangsheirat stattgefunden hat, ob sie isoliert wird.

“Es ist nicht leicht, in der kurzen Zeit eine Vertrauensbasis zu bilden”, sagt Julia. “Aber sie ist unerlässlich, um Frauen zum Sprechen zu bringen.” Dabei hilft Julia die eine spezielle Schulung zum Thema, die sie wie viele andere Rechtsberaterinnen absolviert hat. Diese ausgebildeten Personen, sogenannte Focal Points, stehen in ihren Geschäftsstellen als interne Ansprechpartnerinnen für frauenspezifische Beratungen zur Verfügung. “Dieses Wissen hilft mir bei der Gesprächsführung und dabei, die Frauen über weitere Unterstützungsmöglichkeiten zu beraten und wenn notwendig an weitere Beratungsstellen zu verweisen. Auf die Mitwirkung der Frauen sind wir allerdings angewiesen. Wenn sie schweigen, können wir auch nicht helfen.“

Der Grund für das Schweigen ist die Angst
Die Angst davor, ohne den Mann kein Asyl zu bekommen, allein mit den Kindern dazustehen, noch mehr Gewalt zu erfahren, aus der Community verbannt zu werden – die Liste lässt sich lang fortsetzen.

Oft nehmen es die Frauen auch gar nicht wahr, dass sie in einer Gewaltbeziehung stecken, weil es in ihren Augen “normal” ist, wie Julia weiß. “Wir versuchen die Frauen aufzuklären, klarzustellen, dass Gewalt nicht normal ist, über welche Rechte sie im Verfahren verfügen, was eine Scheidung für ihr Asylverfahren bedeutet und welche eigenen Asylgründe sie unabhängig vom Mann haben.“

Anschluss verlieren
Die Ängste der Klientinnen kennt auch Ramla H. Sie ist im Bereich Rückkehrberatung & Services als Dolmetscherin tätig und hat mittlerweile, wie Julia S., ein Gefühl dafür, wenn Frauen etwas beschäftigt. “Es sind oft kleine Hinweise. Dass eine Frau nicht gleich antwortet, den Blick abwendet, zusammenzuckt“, erzählt Ramla. Das kennt sie auch aus ihrer eigenen somalischen Community. Und sie weiß, dass es für viele Frauen einfacher klingt, eine Gewaltbeziehung zu beenden, als es tatsächlich zu tun. “Entscheidet sich die Frau zum Beispiel dafür, ihren Mann zu verlassen und in ein Frauenhaus zu gehen, ist sie dort isoliert und hat keinen Kontakt mehr zur Community, weil der Mann dort zum Beispiel angesehen ist. Es ist nicht einfach, kein Teil mehr von etwas zu sein, zu dem man sich zugehörig fühlt. Das ist auch ein Grund, warum es manche Frauen nicht tun.“

Geschlechtsspezifische Gewalt
In Somalia selbst ist geschlechtsspezifische Gewalt allgegenwärtig. Laut dem Journal of Migration and Health aus dem Jahr 2023 weist dem afrikanischen Land eine der höchsten Raten sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt auf. Dazu zählt auch FGM (Female Genital Mutilation), also die weibliche Genitalverstümmelung. Sie ist zwar verboten, wird aber nach wie vor praktiziert. Mehr als 90 Prozent aller Mädchen und Frauen in Somalia sind davon betroffen, damit weist das Land die höchste FGM-Rate weltweit auf.

Es gibt Hilfe
Nicht alle Frauen sprechen darüber – auch wenn sie schon in Österreich sind. “Vor allem für junge Mädchen, die wenig Freiheiten haben, ist es sehr schwierig, darüber zu sprechen. Manche Frauen fangen bei der Frage auch an zu lachen – aus Scham.” Doch langsam, so Ramla, würde es sich ändern. “Auch in der BBU werden Klientinnen darüber informiert, welche Ärztinnen und Ärzte spezialisiert sind und welche Beratungsstellen es gibt.”

Die Rolle der Rückkehrberatung
Aber nicht alle Frauen haben das Recht auf Asyl. Für sie ist die Rückkehrberatung da, die eine menschenwürdige Ausreise ermöglicht. “Durch das Perspektivengespräch bieten wir einen sicheren Raum, in dem Frauen ihre Sorgen und Bedürfnisse äußern können, was für eine erfolgreiche Rückkehrberatung unerlässlich ist. Dieser Dialog ermöglicht es uns, individuelle Unterstützungspläne zu entwickeln, die nicht nur auf die allgemeinen Bedürfnisse von Rückkehrerinnen eingehen, sondern auch auf die einzigartigen Umstände und Herausforderungen jeder Frau”, sagt Anela V., Regionalleiterin der Rückkehrberatung Nord. 

Dijana Begic, Regionalleiterin der Rückkehrberatung West, pflichtet ihr bei. „Wir hören den Frauen genau zu und konzentrieren uns auf ihre speziellen Bedürfnisse, um ihnen einen sicheren und bestärkenden Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.“

 

Thematisieren, informieren, aufklären: 
All das passiert in den Betreuungseinrichtungen der Grundversorgung. „Wir machen Workshops über Frauenrechte und allgemeine Rechte von Frauen in Österreich und in der EU”, sagt Zaneta C., Teamleiterin für Betreuung und Versorgung in der Bundesbetreuungseinrichtung (BBE) Traiskirchen.

Für die Workshops werden externe Vereine und Organisationen eingeladen. In Kooperation mit externen Stakeholdern werden Schulungen zu den Themen FGM sowie sexuelle Gesundheit veranstaltet. Ziel ist es, mittels Multiplikator*innen die Schulungsinhalte für eine breite Gruppe zugänglich zu machen.

Kooperationspartner*innen sind derzeitig FEM SÜDUNDINE Migrantinnenberatung sowie die AIDS-Hilfe Wien. In allen BBE weist außerdem das mehrsprachige Infoblatt “Gleichberechtigung” Klient*innen auf das Thema hin. Derzeit arbeitet das Team der Geschäftsbereichsleitung Grundversorgung Wertekurse unter anderem zum Thema Gleichberechtigung und Frauenrechte aus.

Workshops und Familiencafés
Betreuerin Nadzeya Helml ist ebenfalls für die Klientinnen der BBE Traiskirchen da. “Wir motivieren die Frauen, damit sie die Workshops oder das Familiencafé besuchen. Oft sagen sie dann, ‘das betrifft mich ja gar nicht’, aber wir erklären, dass vielleicht doch etwas thematisiert wird, das sie betrifft. Da wir Kinderbetreuung anbieten, nehmen es einige Frauen gern an. Dabei kommt es zum Austausch und zu Gesprächen.“

Es kommt etwas auf
“Natürlich führen wir auch persönliche Gespräche mit den Klientinnen“, sagt Kollegin Birgit B. von der BBE Traiskirchen. „Manchmal reden wir über etwas ganz anderes und es fällt irgendein Wort und plötzlich kommt etwas auf.”

Kooperation mit spezialisierten Fachstellen
Wichtig sei es, die Klientin nicht allein zu lassen. Die Betreuerinnen beziehen die Psychologin der BBE mit ein, die mit betroffenen Frauen spricht. In akuten Situationen wird Klientinnen und deren Kinder eine Unterbringung in anderen Betreuungseinrichtungen oder externen Schutzwohnungen ermöglicht. „Wir helfen den Klientinnen auch bei der Suche nach einer spezialisierten Fachstelle oder einer Opferschutzeinrichtung. Mit diesen kooperieren wir auch“, erklärt Betreuerin Nadzeya H. von der BBE Traiskirchen.

Gestärkt für die Zukunft
Die Kolleginnen der BBE Traiskirchen stärken die Frauen, damit sie auch für die Zukunft gerüstet sind. “Es gibt immer wieder Fälle, wo sie Angst davor haben, zu ihren Männern zu ziehen, die bereits in Landes-GVS sind“, erzählt Nadzeya. „Wir versuchen sie darauf vorzubereiten, ihnen klarzumachen, dass sie ein Recht auf Deutschkurse haben, die Kinder und Jugendlichen zur Schule müssen und an welche Stellen sie sich vor Ort wenden können.“

Frau war eingesperrt
Diese Themen kennt auch Zaneta. “Eine Mutter mit vier Kindern wurde in die Landesgrundversorgung zu ihrem Mann überstellt. Er hat sie vier Monate eingesperrt, dann ist ihr die Flucht gelungen. Sie ist zu uns gekommen, weil sie sich hier sicher gefühlt hat. Wir haben den Mann angezeigt und die Frau und ihre Kinder kamen ins Frauenhaus nach Amstetten.”

Weiterbildung für die Mitarbeiter*innen
In Schulungen bilden sich die GVS-Kolleg*innen weiter, um auf Klientinnen bestmöglich einzugehen. Dazu zählt z.B. die Schulung „Förderung der ganzheitlichen Gesundheit von Frauen“ in Kooperation mit AFYA. Geschlechtsspezifische Aspekte werden immer aufgegriffen, z.B. in den Schulungen der Kinderschutzbeauftragten, der LGBTIQ Vertrauenspersonen und im Rahmen der EUAA Schulungen.

Geschichten von Frauen gibt es viele
Wie jene einer schwangeren 16-jährigen alleinreisenden Jugendlichen, die von zwei Soldaten vergewaltigt wurde. “Das Mädchen hatte daraufhin ein Gespräch mit der Psychologin, der sie im Detail erzählte, was passiert ist”, sagt Zaneta. Im Anschluss gab es einen Termin mit der Kinder- und Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie. “Wir haben es gemeinsam geschafft, dass das Mädchen ganz schnell in die Landes-GVS transferiert wurde, auch mithilfe unseres Regionalleitung und der GVS-Zentrale in Wien”, erzählt Zaneta. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen, von der Sani-Station bis zur GVS-Leitung, ist ein wichtiger Schlüssel, um Frauen zu schützen.

Zusammenarbeit
Das gilt auch für das 16-jährige Mädchen, das in der Türkei vergewaltigt wurde und dank der Vermittlung unserer Kolleg*innen im Krisenzentrum Möwe einen Platz fand. Oder eine weitere Klientin, die Opfer von Missbrauch war und ihr Kind nach der Geburt zur Adoption frei geben wollte. “Dafür haben wir mit dem Krankenhaus zusammengearbeitet, wo sie Beratung und Unterstützung bis zur Übernahme erhielt”, sagt Zaneta.

Frauen als Opfer?
Auch wenn all diese Frauen in dieser Situation Opfer waren: Gefährlich ist, dass sie in diesem Status bleiben. Als “Opfer” zieht die Person zwar Schutz, Hilfe und Aufmerksamkeit nach sich, “Opfer” bedeutet aber auch, dem Schicksal passiv ausgesetzt zu sein. Der Begriff suggeriert Schwäche, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Inkompetenz.

 

Perspektiven aufzeigen
Frauen zu stärken heißt, sie zu aktiven Akteurinnen ihres freien Lebens werden zu lassen, das ihnen nicht nur in Österreich, sondern als Menschenrecht auf der ganzen Welt zusteht. Dafür ist es wichtig,
dass auch Perspektiven für ein gutes Leben nach einer erlebten Gewalttat aufgezeigt werden.

 

Starke Frauen, schwache Männer? Ein falscher Schluss!
Wollen Frauen selbstbestimmt leben, setzt das die Mitwirkung von Männern voraus. Im Falle unserer Klienten heißt das, dass auch sie über Genderfragen, Gleichberechtigung und Frauenrechte aufgeklärt werden. Das geschieht im Bereich der alleinerziehenden Männer und der unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen zum Beispiel in Kooperation mit Poika. Auch in Deutschkursen der GVS wird das Thema aufgegriffen.

Noch nicht am Ziel
Dass wir selbst in Europa und Österreich hinsichtlich der Frauenrechte noch lang nicht am Ziel sind, beweist ein Blick in die Statistik. So sind aktuell laut jüngsten Daten der Statistik Austria mehr als 500.000 Frauen in Österreich von Einkommensarmut betroffen, Alleinerzieherinnen sind dabei besonders gefährdet. Die Einkommensdifferenz in Österreich liegt im Durchschnitt bei 12,4 Prozent. Frauen bekommen um 40,5 Prozent weniger Pension als Männer. Kinderbetreuung, Hausarbeit und Pflege von Angehörigen sind nach wie vor “Frauensache”.

BBU als Vorreiterin

Die BBU geht mit gutem Beispiel voran und zeigt, wie ein gleichberechtigtes Arbeiten funktioniert. Auch in diesem Fall braucht es die Zusammenarbeit und den Willen beider Geschlechter. Das setzt starke Männer voraus, die keine Angst vor Machtverlust haben.

Starke Frauen brauchen eben starke Männer. 

Fotocredits: Canva

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