„Sprache ist der Schlüssel zur Welt“, lautet ein berühmtes Zitat Wilhelm von Humboldts. Unsere Dolmetscher*innen sind in dieser „Schlüssel”-Rolle tätig. Sie sind die Brücke zwischen Klient*innen und Berater*innen und somit auch Vertrauenspersonen. Das birgt Herausforderungen, wie Hafso A. und Fariba A. wissen.
Eine iranische Frau spricht mit einer Rechtsberaterin und der Dolmetscherin. Plötzlich öffnet ihr Ehemann die Tür. “Wir müssen gehen”, schimpft er auf Farsi. “Wir brauchen noch ein bisschen”, antwortet Dolmetscherin Fariba A. Wütend schlägt er die Tür wieder zu.
Die Frau spricht leise, sie wirkt erschöpft. Ihr Mann bedrohe sie, sagt sie, schon öfter habe er sie hinausgeworfen. Selbst die gemeinsamen Kinder habe er gegen sie aufgebracht, mittlerweile hätten sie Angst vor ihr. Zwei Suizidversuche habe sie hinter sich. Die Frau hat einen Aufenthaltsstatus im Rahmen der Familiennachzugsregelung. Jetzt bedroht sie ihr Mann: Er will, dass sie das Land verlässt, während er die Kinder behält.
Wenn Fariba über den Fall erzählt, spürt man, wie nah er ihr gegangen ist. Eine Stunde lang sprachen sie und die Beraterin mit der Frau. „Ihre Aussichten im Herkunftsland waren schlecht und natürlich wollte sie nicht ohne ihre Kinder weg. Auch die Polizei wollte sie auf keinen Fall einschalten. Sie war 24 Jahre alt und hat aufgegeben.“ Fariba und die Rechtsberaterin gaben der Frau Adressen von Gewaltschutzorganisationen. “Sie hatte keine Ahnung, wie sie da hinkommen sollte. Wir haben ihr geholfen, sie bestärkt und Mut zugesprochen.”
Die Schicksale aus meiner Kultur gehen mir besonders nahe. Ich versuche, mitfühlend zu sein, mich aber dennoch abzugrenzen.
Als die Frau die Beratung verließ, wendete sich ihr Ehemann an unsere Kolleg*innen. “Er sagte, wir würden verhindern wollen, dass sie ausreist und er würde seinen Anwalt einschalten. Er war extrem aggressiv. Es war beängstigend.”
Trotz ihrer langjährigen Erfahrung und Professionalität beschäftigte der Fall Fariba. “Ich kann mich abgrenzen, ich hatte viele Fälle, die mir nahegegangen sind. Aber die Geschichte mit dieser Frau hat mich beschäftigt.“
Sich abzugrenzen ist wohl eine der Schlüsseleigenschaften im Umgang mit Klient*innen. Doch egal wie professionell wir sind, über wie viel Erfahrung wir verfügen, sind und bleiben wir Menschen mit Gefühlen.
Als Dolmetscherin übersetze ich nicht einfach, was die Menschen sagen, ich gebe auch ihre Emotionen wieder.
Das weiß auch Hafso A. „Wir sind für die Menschen Vertrauenspersonen und bekommen ihre Gefühle als Erstes übermittelt“, weiß die Somali-Dolmetscherin. „Wenn die Menschen zur Beratung kommen und mich als Dolmetscherin sehen, ist richtig erkennbar, wie erleichtert sie sind.“ Oft, so Hafso, fallen dann Sätze wie „Du weißt ja, wie das bei uns ist“ oder „du kennst ja unsere Kultur.“
Sie dolmetscht für unsere Rechtsberater*innen, manchmal auch für die Rückkehrberatung. Auch Hafso ist immer wieder mit Fällen konfrontiert, die nahe gehen: Frauen und Mädchen, die häusliche Gewalt erfahren haben, von Zwangsehe betroffen sind oder beschnitten wurden.“ Eine „Gewohnheit“ stelle sich dabei nicht ein. „Jeder Fall ist anders, ich kann mich nicht darauf vorbereiten und sagen: Schon wieder eine Zwangsehe, das kenne ich schon.“
Die Vertrauensbasis ist für Hafso wichtig. „Ich zeige Verständnis und gemeinsam mit der Beraterin oder dem Berater stellen wir klar, dass nichts nach außen dringt.“ Dieses Vertrauen birgt eine weitere Herausforderung. „Die Menschen fragen manchmal nach, ob ich sie zu anderen Behörden oder Stellen begleiten kann.“ Dieser Wunsch nach mehr Kontakt ist verständlich. „Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich vermittle ihnen Kontakte zu Expertinnen und Experten, die auf das jeweilige Thema spezialisiert sind und erkläre, dass sie dort in guten Händen sind.“
Letztendlich, so Hafso, gehe es um die Rechtsberatung. „Dennoch sprechen wir viele Themen an. Ich finde es sehr gut, dass beispielsweise die Beschneidung ein fixer Teil der Beratung geworden ist. Wir achten darauf, dass die Menschen darüber informiert werden, wo sie sich hinwenden können – oft wissen sie nichts davon.“
Das Nein sagen und sich abzugrenzen, gibt Hafso zu, falle ihr dennoch oft nicht leicht. „Um sich bewusst abzugrenzen und Fälle hinter sich zu lassen, ist Übung nötig. Das kommt nicht automatisch.“ In einer Supervision, die über die BBU vermittelt wurde, fand Hafso das nötige Werkzeug. „Atem- und Körperübungen helfen mir dabei.“
Was ebenfalls stärkt: „Dass ich mir bewusst mache, dass ich die Menschen unterstütze.“ Eine Rückmeldung zu bekommen tut ebenfalls gut, etwa zu wissen, wie eine Verhandlung ausgegangen ist. „Einige Menschen bedanken sich sogar.“
Die Frau, für die Fariba dolmetschte, meldete sich ebenfalls wieder. “Laut der Rechtsberaterin ist sie im Frauenhaus und zumindest in Sicherheit.”