Keine Chance der Gewalt!

Der 10. Dezember ist Tag der Menschenrechte und gleichzeitig der letzte Tag der Aktionswochen “16 Tage gegen Gewalt an Frauen.”  Und es ist auch für die BBU ein Tag, der im Zeichen gegen Gewalt steht: Das neue „BBU Gewaltschutzkonzept – Gewalt im sozialen Nahraum” zeigt auf, wie wir von Gewalt betroffenen Klient*innen helfen können. Dafür arbeitet die BBU künftig mit Opferschutzeinrichtungen und Beratungsstellen zusammen. Mit diesen fand Ende November ein Resonanzgruppentreffen statt.

Die Frau senkt den Blick. Ihr Mann redet für sie. Sie wirkt abwesend und resigniert, auf ihre Kinder reagiert sie nicht.

Ein junger Mann spricht leise. Er sagt, dass sein Onkel, mit dem er nach Österreich gekommen ist, regelmäßig schlage und bedrohe. Es ist spürbar, wie unangenehm es ihm ist, davon zu erzählen. Eine Anzeige möchte er nicht machen, zu groß ist seine Angst.

Sie wolle nicht mehr zurück, sagt ein Mädchen. Ihre Mutter bestehe darauf, dass sie einen Mann heirate, der 30 Jahre älter ist als sie und den sie kaum kenne, um Schulden mit der Familie zu begleichen.

Es sind drei Szenen, die unsere Kolleg*innen der drei Geschäftsbereiche so oder so ähnlich betreffen können. Und sie stellt unsere Kolleg*innen vor die Frage, wie sie in solchen Situationen reagieren und die gewaltbetroffenen Klient*innen unterstützen können.

Wo anfangen und wie auffangen?
Eine Arbeitsgruppe aller Geschäftsbereichsleitungen hat sich seit Sommer damit beschäftigt. Unter der Leitung unserer Menschenrechtsbeauftragten Gudrun RABUSSAY-SCHWALD fanden zahlreiche Treffen und Gespräche statt.

Mit dabei waren Kolleg*innen aus allen Geschäftsbereichen. Sie haben ihre Erfahrungen und Anliegen aus der Praxis eingebracht. “Das Thema ist komplex, Gewalt hat verschiedene Gesichter und unterschiedliche Ausprägungen”, sagt sie. Das bringt schon das erste Problem zutage: Wo kann man bei diesem Thema anfangen – bzw. wie lässt es sich auffangen? “Zuerst ging es uns darum, innerhalb der BBU eine gemeinsame Definition zu etablieren und ein Grundverständnis zu haben, was mit ,Gewalt im sozialen Nahraum‘ gemeint ist. Darauf kann man aufbauen“, sagt Gudrun Rabussay-Schwald. „Der BBU-Gewaltbegriff lehnt sich an die Istanbuler Konvention des Europarates an. Er beinhaltet unterschiedliche Formen der Gewalt gegen Frauen, wie physische, sexuelle und psychische Gewalt oder beharrliche Verfolgung. Im Zusammenhang mit unserer Arbeit geht es aber nicht nur um Gewalt gegenüber Frauen. “Auch unter männlichen Klienten kann es zu Verdachts- oder Akutfällen kommen”, bestätigt die Menschenrechtsexpertin.

„Nach dem Kinderschutzkonzept ist das Gewaltschutzkonzept ein Meilenstein für unsere Betreuungs- und Beratungsarbeit. Beim Treffen Ende November konnten wir auch andere Organisationen und Player auf dieses Thema aufmerksam machen. Mir ist es wichtig, dass die BBU Gewaltschutz ernst nimmt und weiter ausbaut. Ich danke der Arbeitsgruppe für ihren Einsatz!“

BBU-Geschäftsführer Andreas ACHRAINER

Unterstützungs- und Beratungsbedarf
Unabhängig vom Geschlecht und egal ob es sich um ein Kind oder einen betagten Menschen handelt: In der Regel haben die gewaltbetroffenen Personen einen großen Unterstützungs- und Beratungsbedarf. “Es existieren viele falsche Annahmen, die oft auch mit dem Asyl- und Aufenthaltsrecht in Zusammenhang stehen!“, weiß Marie-Luise M. “Einerseits kennen die Menschen die Möglichkeiten nicht, andererseits fürchten sie negative Konsequenzen, wenn sie zum Beispiel die Polizei rufen.” Umso wichtiger ist es, den Menschen behutsam und gezielt zu helfen. Dabei müssen auch die Communitys im Hintergrund bedacht werden.

“In der Erarbeitung des Gewaltschutzkonzepts und in den vielen Gesprächen mit unseren Kolleg*innen und externen Expert*innen wurde offensichtlich, wie schwerwiegend der oft jahrelange Leidensweg von Gewalt Betroffenen ist. Viele Geschichten liegen jahrelang zurück, bleiben aber im Gedächtnis: Was ist wohl aus der Frau geworden? Habe ich genug zur Unterstützung getan? Warum hat sie die Unterstützung nicht angenommen, sondern lieber geschwiegen? Je besser wir uns im Gewaltschutz im Verbund mit anderen Gewaltschutzorganisationen aufstellen, desto größer ist die Chance, einen Unterschied für die Betroffenen zu machen.”

Menschenrechtsexpertin Gudrun RABUSSAY-SCHWALD

“Gewaltschutzkonzept – Gewalt im sozialen Nahraum”
“Daher haben wir daran gearbeitet, quasi einen Bauplan zu erstellen, an dem sich die Mitarbeiter*innen orientieren können“, berichtet Gudrun. Neben dem umfassenden “Gewaltschutzkonzept – Gewalt im sozialen Nahraum” sind auch eine Toolbox für die Kolleg*innen entstanden. Sie ist praxisorientiert und konkret anwendbar. Sie beinhaltet zum Beispiel Handlungsleitfäden, was zu tun ist bei Verdacht auf Gewalt oder im Akutfall.

Austauschtreffen
Vorausgegangen sind neben den Treffen innerhalb der Arbeitsgruppe auch Workshops mit Fokusgruppen mit Mitarbeiter*innen aus allen Geschäftsbereichen sowie Besuche in Einrichtungen und Geschäftsstellen. Dort wurde mit Kolleg*innen über ihre Praxiserfahrungen gesprochen und die jeweilige regionale Infrastruktur analysiert. Dazu gehören Einrichtungen wie Frauenhäuser oder Gewaltschutzzentren. Sie sind aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich organisiert. Das heißt es ist wichtig zu wissen, wer wo wofür kontaktiert werden kann.

“Die Sicherheit unserer Kolleg*innen und Klient*innen hat für uns oberste Priorität. Damit geht auch der Schutz vor Gewalt einher. Durch das Gewaltschutzkonzept haben wir einen Handlungsleitfaden, der uns dabei hilft, die Menschen gut und zielgerichtet zu unterstützen.

COO Reinhold BAUER

Gudrun RABUSSAY-SCHWALD erklärt: “Wir brauchen Schnittstellen, um zu wissen, an wen sich die Menschen wenden können und wer Hilfe leistet.“ Einige Frauenhäuser können zum Beispiel unsere Klientinnen nicht aufnehmen, weil die Finanzierung nicht gedeckt ist. “

Die Tagessätze in der GVS sind anders als jene im Frauenhaus. In manchen Bundesländern aber schaffen es die Frauenhäuser, die nötige Finanzierung über Spenden aufzutreiben. Das gelingt aber nicht in jedem Bundesland.“ Daher hat die Arbeitsgruppe ein ”Stakeholder Mapping“ erstellt. Sie ist in der Toolbox enthalten. Es enthält Ansprechpartner*innen jeder Region. Ganz wichtig: Diese wird laufend ergänzt.

Vernetzung mit anderen Einrichtungen
Es geht also zu einem großen Teil auch um die Vernetzung mit anderen Einrichtungen. Extern fanden auch Zusammenkünfte mit Opfer- und Gewaltschutzeinrichtungen sowie mit Frauen- und Mädchenberatungsstellen, aber auch mit Gewaltschutz-Expert*innen statt, zum Beispiel gab es im Herbst ein virtuelles Meeting mit einer Mitarbeiterin des Frauenhauses Tirol.

Dabei konnten die Teilnehmer*innen konkrete Fragen stellen und mehr über die Vorgehensweise der Einrichtung erfahren. Im Sommer gab es bereits intensiven Austausch mit der Geschäftsführerin der Autonomen Frauenhäuser (AÖF).

Ende November gab es ein großes, themenspezifisch übergreifendes Treffen mit Opfer- und Gewaltschutzeinrichtungen sowie Gewaltschutz-Expert*innen aus ganz Österreich. Die Liste der Teilnehmer*innen ist lang: Expert*innen der Caritas, der Polizei, der Diakonie, des Österreichisches Rotes Kreuz, des Vereins Neustart und des Vereins tralalobe, UNHCR, asylkoordination, Institut für Konfliktforschung, NIPE – Netzwerk für Interkulturelle Psychotherapie nach Extremtraumatisierungen waren dabei.

Wertschätzender Austausch
Daran beteiligt waren Kolleg*innen aller Geschäftsbereiche sowie unsere Geschäftsleitung. Geschäftsführer Andreas ACHRAINER begrüßte die Gäste, COO Reinhold BAUER nahm zum Thema Sicherheit Stellung. Im Anschluss an die Vorträge gab es Stationen, wo kleinere Gruppen zu bestimmten Punkten diskutierten. Der Austausch der unterschiedlichsten Stellen, zum Beispiel zwischen Polizei und Frauenberatungsstellen, funktionierte sehr gut und äußerst wertschätzend.

Aus dem Herzen
CCO Bernhard PÖLZL moderierte am Ende der Veranstaltung eine Diskussion. Unsere Kolleg*innen aus den Betreuungseinrichtungen und den Beratungsstellen diskutierten mit Nicole KREJCI, Geschäftsführerin vom Gewaltschutzzentrum Wien und Maryam ALEMI, Leiterin der Caritas Rechtsberatung. Gudrun sagt: “Mir war es wichtig, dass die Leute, die tagtäglich mit den Klient*innen arbeiten, etwas erzählen. Sie sprachen aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz und aus dem Herzen heraus und es war wirklich ein sehr schöner und berührender Abschluss, obwohl sie so nervös waren.” Mindestens ebenso wichtig wie die interne ist auch die externe Vernetzung – das wurde bei den Treffen immer wieder deutlich.

Der Themenbereich ist umfassend, die Ziele ambitioniert. Dass nicht alles auf einmal möglich ist und problemlos funktionieren wird, ist klar. Aber mit dem „Gewaltschutzkonzept – Gewalt im sozialen Nahraum“ hat die BBU etwas in Gang gesetzt und die ersten Schritte getan.

Fotos: Canva

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