In sechs spezialisierten Einrichtungen der BBU werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) betreut. Dazu gehört die BBE Finkenstein in Kärnten.
Es sind 66 Burschen, die hier wohnen, zu Spitzenzeiten waren es 94. Sie sind zwischen 15 und 18 Jahre alt, sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Somalia und der Türkei. Sie sind ohne ihre Eltern geflüchtet. Manche waren zwei Monate unterwegs, manche acht, manche noch länger. „Jeder hat seine eigene Geschichte und jeder ist eine eigene Persönlichkeit“, sagt Gabriela N.
Die Kärntnerin ist Leiterin der BBU-Einrichtung in Finkenstein. Sie kennt jeden dieser Burschen, sie kennt deren Geschichten. „Die Jugendlichen sind durchschnittlich vier bis neun Monate bei uns“, so Einrichtungsleitung N. Vorgesehen wären rund zwei Wochen, doch die Verfahren dauern lang. Bis die Jugendlichen in kleinere Einrichtungen der Bundesländer transferiert werden, leben sie in den UMF-Einrichtungen der BBU.
Vor Kurzem sind wieder zehn neue Bewohner aus dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen angekommen. In der Bundesbetreuungseinrichtung Traiskirchen wurden die Jugendlichen erstaufgenommen, medizinisch versorgt und betreut, von dort wurden sie in die auf UMF spezialisierte Bundesbetreuungseinrichtung Finkenstein gebracht. „Als erstes gibt es bei uns ein Willkommensgespräch“, erklärt die Einrichtungsleiterin. „Wir klären Burschen auf, sagen, wo sie hier sind, was wir tun und stellen ihnen die Bezugsbetreuerin oder den Bezugsbetreuer vor.“ Gerade im Fluchtkontext ist es sehr wichtig, dass Kinder und Jugendliche klare Bezugs- und Ansprechpersonen haben, an die sie sich wenden können. In allen Bundesbetreuungseinrichtungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete kommt daher ein Bezugsbetreuungskonzept zum Einsatz, nach dem sich die Bezugsbetreuer*innen um die Belange „ihrer“ Klient*innen kümmern. In Finkenstein stehen Foto und der Name des oder der Bezugsbetreuer*in auch auf der Zimmertür.
Ihr Zimmer teilen sich die UMF in Finkenstein zu dritt, viert oder sechst. Dabei werden Nationen wenn möglich zwar gemischt, um den Austausch zu fördern, aber ein muttersprachlicher Zimmergenosse ist dabei. Die Zimmergrößen sind von Einrichtung zu Einrichtung verschieden. Dasselbe gilt für die sanitären Räume. Sie richten sich nach der Art des Gebäudes.
Auch ein Aufnahmegespräch findet statt. Dabei geht es z.B. um Fragen nach der Gesundheit und vielem mehr. Kommen viele UMF neu an, gibt es ein zusätzliches Gruppengespräch. Die Fragen, die allen Jugendlichen unter den Nägeln brennt: Wann bekomme ich den Transfer, wie kann das Verfahren beschleunigt werden? „Was alle Jugendlichen interessiert ist, wie das Verfahren beschleunigt werden kann. Wir betonen daher, dass wir auf die Verfahrensdauer keinen Einfluss haben“, sagt Gabriela N. „Wir machen ihnen aber auch keine falschen Hoffnungen, sondern geben ihnen die Auskünfte so transparent wie möglich.“
Wie klappt das sprachlich? Viele der Mitarbeitenden sprechen etwa Arabisch, Farsi oder Dari – somit decken sie alle benötigten Sprachen ab. Insgesamt werden über 60 verschiedene Sprachen von BBU Kolleg*innen gesprochen.
Einer von diesen Mitarbeitenden ist Erfan F. Der gebürtige Afghane ist selbst geflüchtet. „Ich bin vor acht Jahren nach Österreich gekommen und habe selbst fünf Jahre in Betreuungseinrichtungen gelebt“, erzählt der Freizeitbetreuer. 2020 hat er seinen positiven Asylbescheid bekommen, seit Oktober 2022 ist er Mitarbeiter der BBU.
Seine Erfahrung, seine Herkunft und seine Geschichte haben für die Jugendlichen besonderes Gewicht. „Ich komme aus ihrem Kulturkreis, ich weiß, wovon sie sprechen und bin ihnen damit näher“, weiß der Freizeitbetreuer.
Das Team in der Einrichtung ist vielfältig, auch was die Ausbildung betrifft. Als Fachkraft in der Flüchtlingsbetreuung verfügt Ylberina D. beispielsweise über einen Master im Gesundheits- und Pflegemanagement. „Ich habe meine Arbeit über die Lebensqualität in Heimen geschrieben und hier kann ich meine Theorie in die Praxis umsetzen.“
Bild: Erfan F., Ylberina D. und Einrichtungsleiterin Gabriela N.
Ihre Expertise ist aber genauso wichtig wie die Erfahrung Erfans. „Es geht nicht um einen Titel, es geht um Beziehungsarbeit. Sie steht für uns an vorderster Stelle“, stellt Gabriela klar. Interne BBU-Weiterbildungsprogramme helfen bei der Intensivierung, wie beispielsweise die Ausbildung zur/zum Kinderschutzbeauftragten. Diese Ausbildung basiert auf dem Kinderschutzkonzept der BBU. Damit hat die BBU die Rechte von Kindern gut verankert und unterstützt die Betreuer*innen bei ihrer Arbeit. Beim Schutz der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kommen spezielle Risiken zum Tragen. Ohne eine Familie leben zu müssen und ganz auf sich allein gestellt zu sein, belastet Kinder oder Teenager. Oft kommen traumatische Erlebnisse auf der Flucht dazu. Besonders gefährdet sind sie, wenn Österreich nicht ihr Zielland ist und sie ihren Weg weiter fortsetzen wollen.
Die Zusammenarbeit und Interdisziplinarität ist ein Schlüssel, um die Betreuungsarbeit zu gewährleisten. Ein diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, ein Psychologe, Fachkräfte in der Flüchtlingsbetreuung und Sozialbetreuer*innen sind Teil des Teams. Die Betreuer*innen absolvieren laufend Weiterbildungen. Sie behandeln die Themen Kinderrechte, traumasensibles Arbeiten, die Arbeit mit Eltern im Herkunftsland, etc. Erfan ist sich auch seiner Vorbildwirkung gegenüber den Jugendlichen bewusst. „Ich erzähle ihnen, dass es für sie gut ist, wenn sie mitmachen und sich an die Regeln halten.“
An die Regeln halten heißt unter anderem, bei der Standeskontrolle anwesend zu sein. Sie wird jeden Tag am frühen Morgen und abends durchgeführt. Dabei wird ein QR-Code gescannt. Vom BFA aus besteht eine Anwesenheitspflicht von 22 bis 6 Uhr, es hat aber auch andere Gründe. „Nachdem unsere Klienten minderjährig sind, geht es dabei um das Kindeswohl. Wir kontrollieren, ob alle da und wohlauf sind. Taucht ein Jugendlicher nicht auf, müssen wir eine Abgängigkeitsanzeige bei der Polizei machen.“ Das ist aber nicht der einzige Grund, so Erfan F. „So sehen wir die Jugendlichen regelmäßig und haben einen täglichen Austausch, das ist wichtig. Geht es zum Beispiel einem von ihnen schlecht, egal ob physisch oder psychisch, können wir sofort reagieren.“ Für die psychische Gesundheit – etwa im Fall einer Depression oder eines Traumas – ist auch ein Psychologe täglich im Einsatz.
Zum Mitmachen gehört auch die Teilnahme am Unterricht. Er findet von Montag bis Freitag statt. Um 9 Uhr gibt es Deutsch-, um 10 Uhr Mathematik- und um 11 Uhr Sachunterricht. Den Unterricht gestalten die Betreuer*innen, die im Einsatz sind, er erfolgt auf Deutsch, Unterrichtsmaterial gibt es aber auch in den Herkunftssprachen. „Bei Schwierigkeiten können sie Nachhilfe bei ihrer Bezugsbetreuerin oder ihrem Bezugsbetreuer nehmen“, sagt die Einrichtungsleiterin. Es ist eine Basis, die vermittelt wird.
Für alle unter 16 Jahren ist der Unterricht verpflichtend, ab dann ist die Teilnahme erwünscht. „Natürlich ist es schwierig, die Jugendlichen zu motivieren, aber wir schaffen das, das ist ja auch unsere Aufgabe. Die Jugendlichen hätten den Unterricht lieber am Nachmittag oder abends. Aber wir erklären ihnen auch, dass sie, wenn sie einmal arbeiten, nicht erst mittags aufstehen können“, sagt Ylberina D. „Wir haben ja einen erzieherischen Auftrag“, ergänzt Gabriela N. „Dazu gehört auch, dass wir ihnen Pünktlichkeit und Höflichkeit vermitteln, zum Beispiel, dass sie Bitte und Danke oder Guten Morgen sagen.“
Mohammad und Ahmad (Namen von der Redaktion geändert) sind zwei unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Syrien. Die zwei Siebzehnjährigen erzählen über ihren Aufenthalt in der BBU-Einrichtung in Finkenstein.
Seit rund 10 Monaten ist Ahmad in Österreich. Sein Deutsch ist beeindruckend. „Ich habe in Traiskirchen mit verschiedenen Lehrern gelernt. Jetzt lerne ich hier weiter.“ Er fühle sich wohl hier, sagt er. Sein Zimmer teilt er sich mit zwei anderen Burschen, mit ihnen spricht er arabisch und kurdisch. „Meine Mutter spricht kurdisch“ Ahmad kommt regelmäßig zum Unterricht, er würde in Zukunft gern einen externen Deutschkurs besuchen, um ein Zertifikat zu bekommen.
Bild: 2 UMF aus Syrien, Mohammad und Ahmad sitzen auf einer Bank, die Mohammad selbst gemacht hat.
Nach dem Mittagessen gibt es eine Ruhepause, ab 15 Uhr finden wieder Aktivitäten statt. Sport, etwa Fußball und Volleyball oder Kreatives, wie eigene Möbel basteln, stehen auf dem Programm. Derzeit läuft ein Maler-Projekt. Ein Mitarbeiter malt mit den UMF die Zimmer aus, dazu gibt es Infos zum Beruf. „Ein Zimmer ist fertig, da würden jetzt alle gern hin übersiedeln“, erzählt Gabriela.
Remuneranten-Arbeiten nehmen die älteren Jugendlichen ebenfalls gern an. Das sind Tätigkeiten im Haus, wie Putzdienst, Hilfe bei der Essensverteilung und so weiter. Für diese Hilfstätigkeit gibt es eine kleine Aufwandsentschädigung. „Wir versuchen auch die neuen Jugendlichen dafür zu begeistern und bei uns wird es wirklich sehr gut angenommen – vor allem, weil wir sie dafür anerkennen, das ist viel wichtiger als das Taschengeld.“
Der Remu-Plan wird wöchentlich neu geschrieben, die Arbeit ist natürlich freiwillig. „Neuankömmlinge motivieren wir gern für die Arbeiten in der Früh, dann sind sie schon auf und können danach gleich zum Deutschkurs kommen“, weiß Ylberina.
Was Ahmad sonst tut? „Ich spiele Fußball, Volleyball und am Handy.“ Er beteiligt sich auch gern und regelmäßig an der Remu-Arbeit. Wohin er später komme, wäre ihm egal meint Ahmad. „Aber ich wäre auch traurig, wenn ich weg muss“, gibt er zu. In Syrien hat Ahmad als Mechaniker gearbeitet, das würde er auch hier gern wieder tun. „Dann würde ich Frau Gabrielas (gemeint ist Einrichtungsleiterin Gabriela N.) Auto reparieren“, versichert er.
Zur Tagesstruktur gehören auch regelmäßige Mahlzeiten. Das Essen wird vom Caterer geliefert. Am Essen haben vor allem Jugendliche, die neu kommen, immer etwas auszusetzen – und das aus gutem Grund, erzählt Gabriela. „Essen ist ja etwas Emotionales, es transportiert Geborgenheit. Wenn man sich nun vorstellt, dass diese Jugendlichen daheim von ihrer Mutter bekocht wurden, ist es natürlich schwierig, das Essen hier gut zu finden.“
Ahmad spricht noch nicht so gut Deutsch, deshalb hilft Freizeitbetreuer Erfan F. beim Übersetzen. Ahmad ist seit rund fünf Monaten hier. Er bekommt aufgrund eines Lymphödems regelmäßig Medikamente, ein diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger bandagiert täglich sein Bein. „Es geht mir gut“, sagt er. Immer wieder muss er wegen der Herz- und Gefäßerkrankung ins Krankenhaus, aber im Camp gefällt es ihm besser. „Auch das Essen ist hier besser“, sagt er.
Wenn er sich etwas wünschen könnte, wäre er gern „gesund“. Von Gabriela erfahren wir, dass es für ihn besonders schwierig sei, denn die Gesundheitsversorgung wäre langwierig und kompliziert. „Wir checken für ihn Termine, Genehmigungen, fragen bei der Krankenkasse an – aber all das dauert. Allein, bis er den passenden Schuh erhält, vergehen Monate. Wir müssen wirklich dahinter sein. Zum Glück wurde jetzt sein Reha-Antrag bewilligt.“
Wie Ahmad ist auch Mohammad zufrieden hier. Aber was würden sich die beiden von der BBU-Einrichtung wünschen? Ihre Antwort: ein Fitnessstudio.
Vor Kurzem hatte etwa die Aidshilfe einen Workshop, ebenso fand ein Workshop mit den Roten Nasen statt, bei dem die Jugendlichen täglich für eine Show Kunststücke einstudierten und dann bei einer Aufführung präsentierten. „Wir kooperieren gern“, sagt Gabriela. „Auch wenn es Angebote aus der Nachbarschaft gibt, nehmen wir diese gern an. Warum sollten sie auch keinen Kontakt zu den Leuten haben?“ Natürlich fragen die Mitarbeitenden nach, denn auch dabei gehe es um den Schutz der UMF, schließlich stünden nicht alle den Jugendlichen positiv gegenüber.
„Ist es aber etwas Positives, das die Integration verstärkt, sind wir gern dabei. Ein Nachbar hat zum Beispiel angeboten, dass wir Kirschen und Äpfel pflücken dürfen, das haben wir natürlich gemacht.“
Regelmäßig vorbei schauen auch die Volksanwaltschaft und das UNHCR, die teilweise unangekündigt nach dem Rechten sehen.
Natürlich bleiben Konflikte nicht aus. „Wenn es aber wirklich eskaliert und es zu gefährlichen Handgreiflichkeiten kommt, rufen wir die Polizei“, stellt Gabriela klar. Damit zeigen die Mitarbeiter*innen auch klar die Grenzen auf. „Das ist auch für die anderen Bewohner wichtig, die dadurch erkennen, dass wir das nicht dulden.“
Die Frustration, dass sie so lang warten müssen, die Ungewissheit, all das trägt dazu bei, dass die Jugendlichen dennoch oft unzufrieden oder wütend sind. „Sie sind Menschen wie wir und es ist völlig verständlich, dass sie in dieser Situation so reagieren. Dieser Frust wirkt sich auch auf uns und unserer Einrichtung gegenüber aus.“
Generell, sagt Gabriela, bräuchten die Jugendlichen ihre Zeit, bis sie sich hier gut aufgehoben fühlen. Sobald sie das tun, ist die Einrichtung für sie aber eine Art zuhause. „Wir waren zum Beispiel bei einem Fußballturnier in der Nähe Wiens und ich habe gefragt, ob sie noch länger bleiben wollen. Sie haben gesagt, sie möchten lieber heim nach Finkenstein.“
Es ist somit für viele auch nicht einfach, die Einrichtung dann endgültig in Richtung Landesbetreuung zu verlassen, obwohl sie sich nichts mehr wünschen. „Wenn ich an dem Tag nicht im Dienst bin, melden sich Kolleg*innen per Videoanruf bei mir, damit sich die Jugendlichen verabschieden können“, erzählt Gabriela. „Das ist schon berührend.“
Bild: Team Finkenstein beim BBU-Fußballturnier Anfang Juni
Für die BBU ist klar: „Menschenrechte sind unteilbar, dh. sie gelten für alle! Daher haben alle Kinder das Recht auf Schutz, Fürsorge, Entfaltung und Teilhabe an Entscheidungen, die sie betreffen, so wie es in der UN-Kinderrechte Konvention festgelegt ist. Auch wenn nicht alle Voraussetzungen dafür in Österreich erfüllt sind (Stichwort fehlende Obsorge, Zugang zu öffentlichen Schulen etc.), leisten wir im Rahmen unserer Betreuungstätigkeit einen Beitrag dazu, dass der Kinderschutz auch für unbegleitete minderjährige Geflüchtete Wirklichkeit wird.“ so Gudrun Rabussay-Schwald, Menschenrechtsbeauftragte der BBU.
Bild: Gudrun Rabussay-Schwald, Menschenrechtsbeauftragte der BBU