Auf der Seite der Menschlichkeit

Die Ukrainer*innen, die zu uns kommen und bei uns leben, stehen vor vielen Fragen. Unsere Kolleginnen der Ukraine-Hotline sind für diese Menschen eine wichtige Stütze und geben ihnen Halt. Allein die gemeinsame Sprache vermittelt Vertrauen und Sicherheit. Wir haben einige Kolleginnen gebeten, ihre Erinnerungen mit uns zu teilen. Ihr könnt sie in diesem Beitrag nachlesen.

Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, BBU-Geschäftsführer

Andreas Achrainer

Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, BBU-Geschäftsführer

Seit einem Jahr wird die Ukraine angegriffen. Seit einem Jahr gibt es zu viele Tote, zu viele Verletzte, zu viele, die ihre Angehörigen verloren haben, zu viele, die ihre Heimat verlassen mussten. Das ist die eine Seite. Sie ist grausam und unverständlich, sie ist unmenschlich und tragisch. Aber es gibt eine andere Seite. Eine Seite, die beweist, dass es Menschlichkeit gibt, dass wir füreinander da sein und zueinander stehen können. Wir dürfen stolz darauf sein, dieser Seite anzugehören. Wir dürfen stolz darauf sein, dass wir helfen können, dass unsere Kolleg*innen für die Menschen aus der Ukraine im Einsatz sind und damit klarstellen: Ihr seid nicht allein. Dieser Krieg hat zu viele Opfer gefordert und er wird es weiter tun. Aber er wird nicht unsere Menschlichkeit besiegen.

Anastasiya V.

Spätabends erhielt unsere Hotline einen Anruf von einem minderjährigen Buben. Er war an einer Tankstelle aus dem Bus gestiegen, der ihn zu seiner organisierten Unterkunft hätte bringen sollen, um auf die Toilette zu gehen. Leider fuhr der Bus daraufhin ohne ihn los. Er rief uns an; weil er so geschockt war, hatte er den Namen des Unterkunftsorts vergessen. Er wusste auch nicht, wo er war. Daher beschrieb er mir genau, was rundherum zu sehen war. Zum Glück entdeckte er eine Haltestelle. Dort fiel ihm ein, dass er den Namen des Unterkunftsorts auf einen Zettel geschrieben hatte. Nach einiger Zeit hielt ein Bus an der Haltestelle. Ich sagte dem Buben, er solle dem Busfahrer das Handy geben, damit ich mit ihm reden konnte. Es stellte sich heraus, dass der Bus in die falsche Richtung fuhr und es keinen weiteren mehr geben würde. In dem Moment fiel auch noch das Handy des Buben aus. Die einzige Möglichkeit war also, die örtliche Polizei anzurufen und sie um Hilfe zu bitten. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte und erklärte, wo der Bub war und wohin er musste. Die Polizei holte ihn ab und brachte ihn sicher zu seiner Unterkunft. Wir waren alle sehr erleichtert.

Anna M.

Ein junger Mann namens Stanislav hatte als ukrainischer Staatsbürger auf der Krim gelebt und weg gewollt. Um ausreisen zu können, war er gezwungen worden, einen russischen Pass anzunehmen. Nur damit konnte er die Krim und Russland verlassen. Stanislav wollte aber auf keinen Fall, dass sein ukrainischer Pass abgenommen wird. Daher behauptete er, er hätte ihn verloren.

Im Sommer meldete er sich bei uns. Er war psychisch in einem schlechten Zustand und hatte Angst vor der Zukunft. Ich klärte Stanislav über die Möglichkeiten in Österreich auf, erzählte, wo er untergebracht werden würde, wie die Erstaufnahme erfolgte und so weiter. Daraufhin entschied er, mit dem Zug nach Österreich zu reisen. Die Ausreise gelang ihm durch Russland über Skandinavien nach Österreich.

Hier wurde er in einer organisierten Unterkunft in Wiener Neustadt aufgenommen. Wien und Österreich haben einen unglaublichen Eindruck auf ihn gemacht, und er plant bereits einen neuen Beruf zu erlernen. Ich hoffe, dass der junge Mann eine glückliche und freie Zukunft vor sich hat!

Olena S.

Mich beeindruckt die Kraft der Menschen, die trotz ihrer Erlebnisse motiviert sind weiterzumachen, wie zum Beispiel Natalia aus Charkiw. Sie hat ihr Zuhause verloren. Ihre Wohnung wurde von einer Rakete getroffen. Ihre Familie und sie haben wie durch ein Wunder überlebt.

Natalia hat sich bei uns gemeldet, da sie in Österreich ein neues, sicheres Zuhause für ihre Familie gründen wollte. Sie erkundigte sich bei uns, ob sie trotz geringer Deutschkenntnisse Chancen auf einen Job hätte. Natalia verfügte über einen Mastertitel in Wirtschaftswissenschaften, war als Verkaufsleiterin mit 15 Jahren Berufserfahrung tätig und war unglaublich motiviert.

Ich riet ihr, eines ihrer Diplome in Österreich anerkennen zu lassen und weitere Kurse über das AMS zu belegen. Leider sind Nostrifizierungen ein langwieriger Prozess aber mittlerweile hat sie die Deutsch A2-Prüfung erfolgreich bestanden und darf am Kurs auf dem Niveau B1 teilnehmen.

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