Trotz schwieriger Situationen die Mission und die Menschenwürde im Fokus behalten – wie gehen unsere Kolleg*innen in den Betreuungseinrichtungen damit um? Wir haben mit Almedina D., die unbegleitete minderjährige Jugendliche betreut, darüber gesprochen.
Die Jacke eines unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen ist weg. Vor Kurzem lag sie noch in seinem Zimmer, jetzt ist sie nicht mehr auffindbar, offensichtlich wurde sie gestohlen. Die Kolleg*innen der Betreuungseinrichtung sprechen mit den anderen Jugendlichen. Keiner will die Jacke gesehen, geschweige denn genommen haben. Die Betreuer*innen erklären, welche Konsequenzen ein Diebstahl nach sich ziehen kann und warum es wichtig ist, trotzdem dazu zu stehen.
„Zwei Burschen haben schließlich zugegeben, dass sie die Jacke versteckt haben, weil der andere damit so angegeben hat. Sie wollten sie ihm zurückgeben und haben gar nicht weiter darüber nachgedacht“, erzählt Almedina D. Sie kümmert sich um minderjährige Jugendliche in einer Betreuungseinrichtung. „Natürlich war das ein Blödsinn und natürlich machen wir ihnen klar, dass es sich letztendlich dennoch um Diebstahl handelt und es Konsequenzen gibt. Vor allem aber haben wir wertgeschätzt, dass sie mit uns darüber gesprochen haben.“
Das beweist, dass sie erkannt haben, dass ihr Handeln falsch war, dass sie den Mitarbeiter*innen der Einrichtung vertrauen und für ihre Taten einstehen. Die Burschen haben daraus etwas gelernt „und es sogar ihren Freunden vermittelt“, wie Almedina erzählt. Es sind kleine Erfolge, die aber große Wirkung haben. Almedina. „Allein, dass Jugendliche zu uns kommen und es sagen, ist ein Erfolg.“
Zuhören, Verständnis aufbringen und empathisch sein, argumentieren, wertschätzend reagieren, die Kontrolle behalten, Grenzen aufzeigen: All das gehört zum menschenwürdigen Umgang mit Klient*innen und entspricht unserer Mission. Es klingt einfach und steht in jedem Kommunikations-Ratgeber. Das Problem ist aber, all das in schwierigen Situationen einzuhalten.
Zum Beispiel, als ein Bursche beim Eintritt in die Betreuungseinrichtung sein Taschenmesser nicht abgeben will, wozu er aber verpflichtet ist, denn natürlich sind Waffen aller Art verboten. „Er meinte, er fühle sich damit sicherer. Das konnten wir auch nachvollziehen. Unsere Aufgabe ist aber, für die Sicherheit aller zu sorgen und die ist nicht gewährleistet, wenn jemand ein Taschenmesser hat.“
Der Bursche gab das Taschenmesser letztendlich ab. „Sonst hätten wir die Polizei informiert, den Vorfall dokumentiert und der Grundversorgungsbehörde übermittelt. Das tun wir auch bei Angriffen oder schwerwiegendem Verhalten. Dazu sind wir verpflichtet. Ich muss die Sicherheit aller garantieren – auch jene der Mitarbeitenden.“ Kommt es bei Jugendlichen immer wieder zu Verstößen gegen die Hausordnung, bespricht Almedina diese Fälle mit den Expert*innen aus dem Geschäftsbereich Grundversorgung. „Gibt es vor Ort keine Lösung, wird den Jugendlichen ein Quartierplatz in einer anderen Einrichtung zugewiesen.“ Eine Folgeversorgung muss auf alle Fälle gewährleistet werden.
Unsere Klient*innen sind Menschen, sie sind nicht aus Wachs. Wir müssen sie nehmen, wie sie sind und auf sie eingehen, auch wenn es manchmal herausfordernd ist.
Unsere Kolleg*innen bieten Hilfe an und sind für die Menschen da. „Dem Burschen mit dem Taschenmesser haben wir zum Beispiel erklärt, dass er damit nicht nur sich, sondern alle anderen in Gefahr bringt und im schlimmsten Fall das Zuhause unserer Burschen gefährdet. Ab einem gewissen Punkt müssen wir die Grenzen, die wir aufzeigen, auch einhalten.“
Die Verantwortung gilt allen Bewohner*innen und allen Mitarbeiter*innen gegenüber. Sie machen es notwendig, dass die Regeln funktionieren. Es erfordert ein Commitment von beiden Seiten. „Viele Jugendliche sind mit Gewalt aufgewachsen, für sie war es Teil des Lebens, daher braucht es auch Fingerspitzengefühl, Zeit und Empathie. Wir sind für die Jugendlichen da, haben aber im Gegenzug auch Erwartungen an sie“, so Almedina. Aufeinander zuzugehen ist keine Einbahnstraße, es basiert auf beidseitigem Verständnis und Respekt und ist nur möglich, wenn beide Seiten einander auf Augenhöhe begegnen.
Und was, wenn man mit der zu betreuenden Person nicht zurechtkommt? „Dann übernimmt eine Kollegin oder ein Kollege. Wir sind alle nur Menschen, mit manchen versteht man sich besser, mit anderen kann man nicht.“ Bei unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen läuft das meiste über die Gruppe. Daher beziehen die Kolleg*innen Burschen ein, die besonders hervorstechen.
Zur Menschenwürde gehört auch, über Regeln aufzuklären und sie verständlich zu machen. Dazu zählt die Hausordnung und die darin enthaltene Einhaltung der Nachtruhe. „Wenn jemand lautstark am Handy spielt, weisen wir ihn darauf hin, dass es bei oftmaligen Störungen zu einer Vorfallsmeldung kommt, die das BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) erhält. Das kann zum Beispiel eine Taschengeldreduktion nach sich ziehen. Die Jugendlichen haben das Recht zu erfahren, was passiert, wenn sie die Regeln verletzen.“
Um die Mission gut umzusetzen, ist auch ein funktionierendes System wichtig. Was es dafür braucht? „Eine kurze Aufenthaltsdauer“, so Almedina. „Langes Warten nimmt viel Hoffnung und führt zu Frustration – und das in einem ohnehin schwierigen Alter.“
Was es als Mitarbeiter*in in der Betreuungseinrichtung auf alle Fälle braucht, ist Geduld. „Manchmal muss man einfach tief durchatmen und etwas das 10.000 Mal wiederholen.“ Neben der Geduld ist Humor ein Muss – nichts verbindet so sehr wie gemeinsames Lachen „und davon“, so Almedina, „gibt es in unserer Arbeit genug.“